26. August 2016

Areal Wasserkreuz

Feldforschung in der Retroromantischen Renatur

Ein Fluss wird renaturiert. Rewind. Reset. Systemwiederherstellung. Welcher Zeitpunkt soll eingegeben werden? Und ist das aktuelle System kompatibel mit dem, was hier installiert werden soll?

1, foto titel standort 6.2.

Ich war noch nie längere Zeit im Ruhrgebiet, aber ich kenne viele Gewässer. Große und kleine. Flüsse, in denen man baden kann, Flüsse, die schäumen, weil zu viel Waschmittel in ihnen landet (und trotzdem bauten Schwäne dort ihre Nester, mitten im Schaum), Seen, die man „Silbersee“ nennt, weil es eine Zeit gab, in der sie silbrig glänzten von irgendeiner Chemikalie aus dem Werk nebenan, Seen, aus denen man trinken kann. Alles Gewässer, die mir sehr vertraut sind. Hier kenne ich nichts und bin neugierig.

2, foto erster eindruck

1. Tag (Auf)Zeichnung

Welche Sehnsucht liegt dem Bedürfnis zugrunde, etwas „renaturieren“ zu wollen? Welche Bilder und welches kulturelle Erbe bilden die Grundlage dafür? Was ist der „Urzustand“ eines Flusses? Wann war der Urzustand? Vor 100 Jahren? Vor 1000 Jahren? Gab es etwas vor dem Urzustand? Kann man einen Urzustand zeitlich verorten?

Was ist „natürlich“? Ist Dreck im Fluss unnatürlich? Oder anders: Ist „chemischer Dreck“ unnatürlich und „natürlicher Dreck“ natürlich und wenn ja – wo ist da genau die Grenze? Was, wenn der Fluss stört als „Natur“, weil er zur Bedrohung wird? Was will man als Mensch, wenn man etwas renaturiert?

Meine persönliche Erinnerung an einen Fluss: In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es einen Fluss, der alle 2-3 Jahre Hochwasser hat. Als Kind fand ich es toll, dass man dann mit dem Boot zwischen den Häusern durchfahren konnte. Venedig. So nah. Der Fluss hat damals auch gestunken und man konnte nur darin baden, wenn man eine robuste Haut hatte.

Jetzt – Ruhrgebiet 2016: Forschungsmethoden werden entwickelt und Vorhaben werden in Worte gefasst, um dem Erbe der Romantik auf die Spur zu kommen – ein Teil der kulturellen Grundlage. An die Emscher kommt man nicht heran, weil sie eingezäunt ist.

Vorbeifahrende Radler und Wanderer werden gebeten, eine Szene aus dem „Taugenichts“ nachzuspielen. Radsport als Freizeitbeschäftigung. Sich bemühen, schwitzen und sich dann ausruhen dürfen:

Forschungsvorhaben I – Taugenichts:
Für 2 Personen: Nehmt das Buch „Aus dem Leben eines Taugenichts“ und schlagt S. 46 auf. Lest die darin markierte Stelle laut vor.

Person 1 spielt die beschriebene Szene an einem passenden Ort nach. Person 2 zeichnet das Gesehene oder macht davon ein Foto.

Als ich eine Strecke so fortgewandert war, sah ich rechts von der Straße einen sehr schönen Baumgarten, wo die Morgensonne so lustig zwischen den Stämmen und Wipfeln hindurchschimmerte, daß es aussah, als wäre der Rasen mit goldenen Teppichen belegt. Da ich keinen Menschen erblickte, stieg ich über den niedrigen Gartenzaun und legte mich recht behaglich unter einem Apfelbaum ins Gras, denn von dem gestrigen Nachtlager auf dem Baume taten mir noch alle Glieder weh.

(J. v. Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts)

8, 26.08.164, lilo aus köln, 24.08.16
Lilo aus Köln

3, schwester judith kohorst und petra rhein, 24.08.16, foto cleaSchwester Judith Kohorst und Petra Rhein

2, florian aus stelingen, 24.08.16Florian aus Stelingen

1, peter aus bochum, 24.08.16Peter aus Bochum

2. und 3. Tag_25./26.08.16: Taugenichts

Renaturierung? Toll! Dann stinkt es nicht mehr so. Aber der Gestank ist auch vertraut.

Immer mal wieder der Satz: „Einen schönen Arbeitsplatz haben Sie hier.“ Arbeiten ist hier etwas anderes. Stolz auf die Vergangenheit im Pott. Die Nachfahren der Bergarbeiter arbeiten übertage, z.B. als Heizungsinstallateure, so wie Peter aus Recklinghausen.

Zwei Besucher aus Leipzig wollten Urlaub machen in der Bretagne oder in der Normandie. Jetzt machen sie stattdessen Urlaub an der B58. D.h. sie erkunden das Gebiet entlang der B58, weil der Mann vor Jahren, an seinem 58. Geburtstag, diesen Wunsch hatte. Hier sind sie mehr oder weniger zufällig gelandet. Könnten Konzeptkünstler sein, sind aber ganz „normal“, also Nichtkünstler von Beruf. Gespräche über Rollen, Identitäten, Patti Smith, Anohni in Bielefeld und über die Verletzlichkeit, an deren Rand man steht, wenn man singt.

Andere Besucher sinnieren mit mir über die Sensibilität des Korpus einer Geige. Meine Geige traue ich mich noch nicht zum Einsatz zu bringen, weil der Lack bei über 35°C anfängt weich zu werden. Das war dem Taugenicht damals anscheinend egal, als er auf dem Baum übernachtete. Oder der Lack war härter vor 200 Jahren.

Die anderen Forschungsvorhaben:

II
Störfall

Sieh dich um und suche eine Stelle in der näheren Umgebung, an der dich irgendetwas stört. Betrachte diese Stelle mindestens 2 Minuten lang, zeichne sie dann und halte alles, was du siehst, im Detail fest.

III
Kulisse

Für 2 Personen: Person 1 nimmt sich einen Rahmen und sucht sich einen Ausschnitt in der Landschaft. Person 2 nimmt sich Stift und Block und stellt sich mit dem Rücken zu Person 1. Diese beschreibt nun Person 2 den Ausschnitt, der durch den Rahmen zu sehen ist. Person 2 versucht, das Gehörte zu zeichnen.

4, kristin und frank aus dresden, 26.08.16

Kristin und Frank aus Dresden

IV
Erinnerung
Erzähle eine Geschichte von etwas, was hier passiert ist, bevor die Emscher begradigt wurde.